Meine Rede zum Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit


In dieser Rede setze ich mich mit dem Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit auseinander, aber auch mit einer eigenen Biografie und der vieler Ostdeutscher. Die Jahre nach 1989/1990 waren nicht leicht für viele Menschen, die in der DDR groß geworden sind und gearbeitet haben.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! „Ossis in die Behörden, und am besten in deren Spitze“ – ja, das könnte mir auch gefallen. Was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken in Ihrem Antrag beschreiben, ist auch zutreffend: Ostdeutsche sind im vereinten Deutschland in Justiz, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Bundesbehörden leider eklatant unterrepräsentiert. Sie kennen die Zahlen: 4 von 109 Abteilungsleitern in Bundesministerien sind aus Ostdeutschland, und nur 4 von 190 DAX-Vorständen sind Ostdeutsche. Nicht einer der 25 Präsidenten der obersten Gerichte in Ostdeutschland kommt aus dem Osten, und auch kein einziger Unirektor. Was für eine traurige Bilanz im 30. Jahr nach dem Mauerfall!
An den Zahlen wird leider sehr deutlich: Ostdeutsches Know-how spielt in den zentralen Schaltstellen in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle. Leider verschenken wir uns alle so wertvolle Erfahrungen, die Ostdeutsche mit einbringen können. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern führt zu ganz konkreten Problemen unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts; denn in Spitzenpositionen nicht vertreten zu sein und sich nicht vertreten zu fühlen, führt bei einigen Ostdeutschen zu Verdruss gegenüber der deutschen Einheit, zu Misstrauen bis Wut gegenüber unserem demokratisch verfassten Staat.
Das untergräbt die Legitimität unseres Gemeinwesens, und das müssen wir ändern.
Aber ist eine Quote die richtige Antwort? Daran habe ich meine Zweifel, insbesondere wenn ich in die Zukunft schaue. Da stelle ich mir schon die Fragen: Wer ist heute noch Ossi? Wer ist Wessi? Wer wäre die Zielgruppe für solch eine Quote? Ich freue mich, derzeit eine Studentin der Uni Erfurt als Praktikantin in Gera und Berlin zu betreuen. Geboren ist sie in Niedersachsen. Sie lebte jetzt einige Jahre als Studentin in Thüringen und geht bald nach Mexiko. Dann kommt sie vielleicht zurück nach Thüringen oder nach Berlin, wie viele in ihrer Altersgruppe. Entscheidet dann der Stadtteil, in dem sie lebt, ob sie West- oder Ostdeutsche ist oder eben doch ihr Geburtsort? Ost und West sind für sie Kategorien der Vergangenheit. Eine Ostquote würde die Vergangenheit, die Trennung in den Köpfen zwischen Ost und West, zementieren.
Deshalb überzeugt mich die Ostquote eben nicht.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe durchaus die Debatte dahinter. Sie ist wichtig; denn sie beschäftigt sich mit den Entwicklungen nach der Wiedervereinigung. Ich selbst bin 1987 in Gera in Ostthüringen geboren. Ich wuchs als Wendekind quasi mitten in der Transformationsphase auf. Für mich war es leicht, mich den Gegebenheiten anzupassen, weil ich ja nichts anderes kannte. Allerdings ging es meinen Eltern und denen meiner Freunde und Schulkameradinnen anders, und das prägte auch meine Erziehung. Mit der Wende brachen so manche Biografien und auch Karrieren. Wer zum Zeitpunkt des Mauerfalls als Ostdeutscher im Berufsleben war, wird durchaus gespürt haben, Ossi zu sein und vielleicht einen Wessi vor die Nase gesetzt bekommen zu haben. Nach Kompetenz wurde damals nicht gefragt. Diese Demütigungen wurden nicht vergessen.
Die Erfahrung von 30 Jahren Wandel ist vielen Westdeutschen fremd. Deshalb ist es endlich an der Zeit, die Erfahrungen der Ostdeutschen nach der Wende gesamtdeutsch zu diskutieren und so auch endlich ein gemeinsames Geschichtsbewusstsein zu entwickeln.
Dann würden Westdeutsche den Unmut ihrer ostdeutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger über fehlende Repräsentanz in Führungsetagen sicher besser nachvollziehen und verstehen können. Mit besserem Verständnis füreinander wird es vielleicht endlich gelingen, die mentale Trennung zwischen Ost und West zu überwinden; denn sonst holt uns die Quotenfrage wieder ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Debatte zeigt, dass es nicht zu spät ist für entschlossenes Handeln. Der anstehende Generationenwechsel in ostdeutschen Führungsetagen muss unbedingt genutzt werden, um Ostdeutsche besser zu repräsentieren. Es ist eine berechtigte Forderung der Menschen zwischen Warnemünde und Hildburghausen, auch von Menschen vertreten zu werden, die eine ähnliche Lebenserfahrung haben. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb, im „Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit“ detaillierter über die Fortschritte institutioneller Repräsentanz von Ostdeutschen zu berichten und Veränderungen aufzuzeigen. Damit hier ein positiver Trend sichtbar wird, bedarf es handfester Maßnahmen, um die Beteiligung von Ostdeutschen in Spitzpositionen zu erhöhen.
Zu den zentralen Punkten gehört für uns Sozialdemokraten natürlich auch die verstärkte Ansiedelung von Bundesbehörden und Forschungseinrichtungen in Ostdeutschland, da, wo es Sinn macht. Aber auch bei der Berufung in hohe öffentliche Ämter muss eine stärkere Berücksichtigung Ostdeutscher zügig sichtbar werden. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist eine Aufgabe für das Hier und Jetzt. Die zahlreichen Studien zeigen, dass der Osten in der wirtschaftlichen Entwicklung weiterhin besonderer Förderung bedarf; denn nach der Wende verlor Ostdeutschland dauerhaft seine industrielle Entwicklungsbasis. Aber Digitalisierung und künstliche Intelligenz bieten ja auch Chancen. Warum nicht Ostdeutschland zur Modellregion für Digitalisierung machen? Warum nicht ein Drohnenzentrum am Flughafen Altenburg entwickeln? Das ist nur ein Beispiel.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Neben den nötigen politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen kann auch jeder und jede selbst etwas dazu beitragen, als Ostdeutsche erfolgreich im geeinten Deutschland aufzutreten. Dazu gehören Selbstbewusstsein in Bezug auf die eigene Identität, Leistung und das Zutrauen zu den Aufgaben, die vor uns liegen. Ich bin mir sicher: Wir können das.
Vielen Dank.

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